VOM ENDE DER EINSAMKEIT



„Es hieß, unsere Großmutter sei in ihrer Jugend eine hervorragende Schwimmerin gewesen und im ganzen Dorf beliebt. Das musste hunderte Jahre her sein. Ihre Arme wirkten zerbrechlich, sie hatte einen runzligen Schildkrötenkopf, und der Lärm, den ihre Enkel machten, schien sie kaum noch zu ertragen. Wir Kinder fürchteten uns vor ihr und vor dem karg eingerichteten Haus mit den altmodischen Tapeten und Eisenbetten. Ein Rätsel, wieso unser Vater jeden Sommer hierherkommen wollte. „Es war, als müsse er Jahr für Jahr an den Ort seiner größten Demütigung zurückkehren”, hatte Marty später einmal gesagt. Doch es gab auch: Kaffeeduft am Morgen. Sonnenstrahlen auf dem gefliesten Boden des Salons. Zartes Scheppern aus der Küche, wenn meine Geschwister das Besteck für das Frühstück holten. Mein Vater in seine Zeitung vertieft, meine Mutter Pläne für den Tag schmiedend. Danach Höhlenwanderungen, Fahrradtouren oder eine Partie Pétanque im Park.

Lange bin ich nicht mehr in einem Buch versunken. Mir fehlt gerade die Ruhe dazu. Wenn viel los ist in meinem Leben, schaue ich mir lieber einen Film oder eine Fernsehserie an, irgendetwas, das mir nicht allzu nahe kommt. Dann kam dieser Tag, an dem es mir nicht gut ging und ich den ganzen Tag im Bett lag. Also fing ich an zu lesen, das Buch, das ich eigentlich schon in Paris anfangen wollte. Und ich las. Und las weiter. Noch ein Kapitel. Und noch eines. Zwischendrin habe ich geweint, irgendwie war mir das peinlich, sogar vor mir selbst, wahrscheinlich weil ich nicht einmal wusste, was genau mich da eigentlich so getroffen hatte. Das passiert mir manchmal. Dann erwischt mich ein Satz, ein Text, ein Song, und rumort in mir herum, weil ich etwas von mir in ihm erkenne, für das ich vorher noch keine Worte hatte.

„Was wäre das Unveränderliche in dir? Das, was in jedem Leben gleich geblieben wäre, egal, welchen Verlauf es genommen hätte?”

In „Vom Ende der Einsamkeit” erzählt der Münchner Autor Benedict Wells von Jules, der nach einem Motorradunfall aus dem Koma erwacht. Er überlebt, obwohl es knapp war. Es ist nicht der erste Unfall, der ihn aus der Bahn wirft. Denn als Jules zehn Jahre alt ist, sterben seine Eltern bei einem Autounfall und plötzlich ist alles anders. Zusammen mit seinen Geschwistern Marty und Liz kommt er auf ein Internat. In den Jahren danach versuchen sie, ihren Weg zu finden und finden doch lange nicht zu sich selbst. Sie fallen hin, stehen wieder auf, suchen weiter, versuchen, einander Halt zu geben und bleiben doch (lange) alleine. Die Geschichte nimmt dann noch viele Wendungen, und aus der Geschichte eines einsamen Jungen wird die Liebesgeschichte eines Paares. Doch die Fragen, die allem zugrunde liegen, bleiben immer die gleichen: Wie wird man zu dem Menschen, der man ist? Wie lange hat man Zeit, etwas an diesem Menschen zu ändern? Und wie schafft man das überhaupt? Zumindest sind das die Fragen, die ich beim Lesen im Kopf hatte – wahrscheinlich kann einem dieses Buch noch viele andere Fragen stellen. Auch das mag ich so an „Vom Ende der Einsamkeit”: Es ist unheimlich präzise, genau, dicht. Und lässt doch vieles in der Schwebe. Es ist unendlich traurig und mag dabei das Leben sehr. Es haut manchmal ziemlich in die Vollen und lässt seine Figuren mehr durchleben, als gefühlt in ein Leben passt. Aber ich mag auch diese Undosiertheit und das Nicht-Aussparen, ich mag es, wenn Geschichten sich das trauen. Und einen so gar nicht in Ruhe lassen. Endlich mal wieder. 

„Glaub mir, ich hab´s verdient, dass er mich verlassen hat.” Fast spöttisch: „Jules, du siehst immer jemanden in mir, der ich nicht bin.”
„Nein, andersrum. Du bist jemand, den du nicht siehst.”

Benedict Wells: „Vom Ende der Einsamkeit”, 368 Seiten, Diogenes. 

NICHT MEHR GANZ SO KLEINE NEUIGKEITEN


Der Grund, warum es hier in letzter Zeit ein wenig stiller war als sonst: Wenn alles gut geht, sind wir im Herbst zu viert. Und obwohl ich mittlerweile schon im fünften Monat bin und mich beim Anblick von Babysocken zusammenreißen muss, nicht vor Rührung loszuweinen (okay, das ist gelogen, ich breche in Tränen aus, und nicht nur beim Anblick von Babysocken, irgendeine schlimme Werbung tut´s auch schon), kann ich trotzdem noch immer nicht so recht glauben, dass in meinem Bauch ein kleiner Mensch wächst. Ein kleiner Mensch mit winzigen Wimpern. Unser zweites Kind.

Dieses Mal waren die ersten Wochen und Monate ein wenig härter als beim ersten Mal. Mir war ständig flau und ich mochte eigentlich gar nichts essen. Dauermüde war ich auch, so sehr, dass mir am Schreibtisch manchmal einfach die Augen zugefallen sind (und abends, wenn ich Fanny ins Bett gebracht habe). Immer wieder war ich auch ganz düster drauf, was mich am meisten überrascht hat. Schließlich hätte ich mich gar nicht mehr freuen können. Und doch war ich oft niedergeschlagen und traurig. Glücklicherweise sind diese Schatten mittlerweile wieder verschwunden und ich bin bloß noch aufgeregt, hungrig, neugierig, großgefühlig, vorfreudig, manchmal alle und manchmal immer noch sorgenvoll, aber meistens sehr glücklich und vor allem sehr, sehr dankbar.

Wie habt ihr denn eure zweite Schwangerschaft erlebt? Ähnlich wie die erste oder ganz anders? Und: Sucht jemand von euch zufällig noch einen Abnehmer für seinen alten Kinderwagen? Wir suchen nämlich noch einen. Wer seinen gerne verkaufen mag oder jemanden kennt, kann mir gerne eine Email schreiben: postanslomo(at)googlemail(dot)com.

PS: DANKE fürs so sehr Mitfreuen!

EINE WOCHE IN PARIS


Diese kleine Bäckerei namens Blé Sucré. „Der Spaziergang dorthin lohnt sich”, hatte unsere Haustauschfamilie uns geschrieben, „probiert unbedingt die Madeleines”. Wir probierten die Madeleines. Und die Pains au chocolat. Und die in Butter getränkten und in Karamell getunkten Teigstückchen, ich habe vergessen, wie sie heißen, aber nicht wie sie schmecken. 

Die Düfte vom Marché d´Aligre. Tomaten, frische Petersilie, Pfingstrosen, Erdbeeren, Basilikum.

Das Wiedersehen und Wiederlieben der Orte, die wir jedes Mal besuchen: Frenchie To Go, G. Detou (für die Honigbonbons!), die Grande Epicerie, der Jardin du Luxembourg, das Café Charlot, Merci und die Kinderschnickschnack-Etage von Bon Ton. Die Passfotos, die wir im Automaten gemacht haben, sind so dunkel, dass man kaum etwas auf ihnen erkennen kann. Man ahnt, dass wir Schnurrbärte und Riesenbrillen tragen, sonst ist da sehr viel Schwarz, aber jedes Mal, wenn ich jetzt an unserem Kühlschrank vorbeigehe, muss ich grinsen.

Das Entdecken ganz neuer Orte: das Boot-Café im Marais, so klein und hübsch und hellblau, die Epicerie Generale in St. Germain (wo es Basilikum-Apfelsaft gibt) oder Sézane – der hinreißend schöne Shop zum berühmten Onlinestore. 

Die blau-weiß-gestreifte Regenjacke, die ich Fanny von einem Bummel mitgebracht habe und die sie von diesem Tag an nur noch trug, selbst wenn keine Wolke am Himmel stand, manchmal sogar in der Wohnung. Ich glaube, Streifenliebe ist vererbbar.

Die Bluse von Soeur, die ich am liebsten nicht mehr ausgezogen hätte. Manchmal zieht man ja etwas an, von dem man weiß, dass man es noch in zehn Jahren mögen wird, und diese Bluse ist genau so eine Bluse, eine Wohnbluse. 

Das Café, in das wir nur gingen, weil es so zu regnen anfing, dass uns eigentlich gar nichts anderes übrig blieb. Vor fünf Jahren war ich das letzte Mal bei Mamie Gâteaux, aber der Zauber dieses Ortes ist noch immer der gleiche: ein paar schlichte Holztische, sehr viele Kuchen und Torten und eine heiße Schokolade, die auch als Mittagessen durchginge. Mit Zitronentarte schmeckt sie gleich noch viel besser.

Die silberne Katzentasche, die sie sich nach langem Abwägen von ihrem Omi-und-Opi-Reisegeld gekauft hat.

Meine Sephora-Tüte. Der Laden ist schrecklich, über den Inhalt dieser Tüte habe ich mich aber rauf- und runtergefreut: der Ultra HD-Concealer von Make Up Forever, der Pro Sculpting Brow Pen von Make Up Forever (plötzlich habe ich Augenbrauen) und das Lippenöl von Lancôme

Die lange Liste mit Orten, die ich mir angucken wollte: Nose zum Beispiel, Candelaria, Starvin Joe, das Fondation Cafe, La Cevicheria, das Ob La Di Café, Buvette und The Broken Arm – aber keine Liste der Welt war so wichtig wie ein Spaziergang an der Seine oder durch die Nachbarschaft.

Passionsfrucht-Joghurt.

Die Dinge, von denen sie auf dem Rückflug erzählt hat: der Riesenhund der Hausmeisterin. Die Chouquettes aus der Bäckerei an der Ecke, kleine, mit Hagelzucker bestreute Teigbällchen. Das Italien-Boot, das für sie auf dem Teich im Jardin du Luxembourg ins Rennen gegangen ist und fast vom Piratenboot geentert wurde (das hätte sie noch viel lieber gehabt). Die supersaure Schlickertüte, die ich ihr gekauft habe (ohne zu wissen, dass sie so supersauer ist). Das kleine Holzstück, das sie gefunden und aus dem sie sich eine Flöte gebaut hat, die zwar nicht flöten konnte, aber toll aussah. Der Regenmantel. Die Kletterwand auf dem Spielplatz, am letzten Tag hat sie es bis ganz nach oben geschafft. Die Honigbonbons. Unsere blaue Eingangstür. Und die scheue Katze, die zwar immer gucken kam, sich aber nie hat streicheln lassen. Unser Picknick an der Seine.

EINE LIEBESLISTE MIT STEPHANIE VON STEPANINI



Wahrscheinlich kennt ihr das Weblog Stepanini längst, ich lese es schon lange und immer noch gerne, weil Stephanie es immer wieder schafft, mir kleine und große Gedankenrucks zu geben. Umso mehr freue ich mich, dass sie meine Liebesliste ausgefüllt hat und ich sie (aus der Ferne) noch ein bisschen besser kennenlernen durfte – denn getroffen haben wir uns bislang nie. Ich hoffe, das ändert sich einmal...

1) Ein Buch, das dir viel bedeutet?

„Montauk” von Max Frisch. „Stiller“ und „Mein Name sei Gantenbein“ von ihm mag ich auch sehr, aber wenn ich ein Buch wählen müsste, dann wäre es Montauk. Ich weiß nicht, wie oft ich es schon gelesen habe und viele Passagen kenne ich auswendig. So viel Lebenserfahrung und Altersweisheit, ohne dabei abgeklärt zu sein, stecken auf etwas mehr als hundert Seiten. Es ist nachdenklich, suchend, aber immer auch leicht. Wie er so scharf und genau beobachtet, sich und andere – das zu lesen, bedeutet mir sehr viel.



2) Ein Film, der lange bei dir geblieben ist?
Zwei. 

„Schmetterling und Taucherglocke“ von Julian Schnabel. Wenn man liest, worum es geht, dann mag man es nicht glauben, aber ich finde, es ist so: Es ist einer der lebensbejahendsten Filme, die ich kenne. Bildgewaltig. Er tut weh und ist gleichzeitig hoffnungsvoll. Französisch leicht. Der Regisseur Julian Schnabel hat mal gesagt, dass man die ganze Welt in der Ecke eines Zimmers finden kann oder in sich selbst. Und ein wenig eine Ahnung davon, was das bedeutet, erhält man in diesem Film.

Und dann noch: „In the Mood for Love“. Ich bin schwer verliebt in diesen Film, weil er wie kein anderer das sich verlieben einfängt, was eigentlich nicht geht. Er ist unendlich langsam. Alles läuft wie in Zeitlupe ab. Es ist eine Mischung aus wunderschönen Bildern voller Ästhetik, untermalt von einer ganz eigentümlichen Musik und so ganz nebenbei sieht man zu, wie es passiert, das man sonst nicht einfangen kann und aber jeder kennt: wie sich eine Spannung aufbaut, das umeinander herumschleichen, es sich nicht eingestehen wollen, nicht wissen, ob es dem anderen auch so geht. Er wurde wohl ohne Drehbuch gefilmt und es reihen sich Sequenzen aneinander. Ich liebe die Bilder und die Poesie. Es ist ein ganz ruhiger und ein sehr zärtlicher Film. Es gibt keine großen Dialoge. Es wird überhaupt sehr wenig gesprochen, nur manchmal fallen Sätze wie: „Es ist sowieso schon passiert. Es spielt keine Rolle, wer angefangen hat. Viele Dinge beginnen, ohne dass man es anfangs bemerkt.“ Mehr muss man wahrscheinlich auch nicht sagen. 



3) Ein Song, der dir unendlich gute Laune macht?
Wenn ich unendlich gute Laune habe, ist jedes Lied das überhaupt beste, das ich je gehört habe. Wenn dem nicht so ist, dann gibt es ein Lied, das alles wieder leichter erscheinen lässt: Es heißt „Try“ und ist von Sidsel Endresen und Bugge Wesseltoft. Das hilft immer. Und es hat das, was wenige Lieder haben: Die Melodie ist toll und der Text dazu auch gleich. Die Töne sind so smooth und leicht wie Sommersonntagnachmittage und der Text sagt alles: Einfach weiterversuchen. Egal, was ist und war. Just try, try, try. 


4) Was in deinem Kleiderschrank ziehst du immer wieder an?
Schlichte Kleider. Hemdblusenkleider im Sommer und Etuikleider im Winter. Ich habe sie in allen Farben. Kleider tragen ist ein ähnliches Freiheitsgefühl wie barfuß laufen. Ich mag mich darin. Sie sind schlicht und lassen Raum. Sie sind so unkompliziert. Ich mag keine Schnörkel und keinen Schmuck, vielleicht deshalb. Ich habe übrigens lange gebraucht, bis ich auch beruflich Kleider getragen habe. Ich arbeite in einer Männerbranche und anfangs habe ich mir immer mit Hosenanzügen einen Schutzanzug geschaffen. Irgendwann war das dann vorbei und wenn ich jetzt für wichtige Termine den Koffer packe und deshalb darauf achte, dass es etwas ist, von dem ich weiß, dass ich mich darin wohlfühlen werde, wird es immer ein Kleid sein.



5) Und was würdest du niemals wegwerfen, obwohl du es schon lange nicht mehr anziehst?
Ich glaube, das gibt es nicht. Es gibt ein paar Kleider im Schrank, bei denen ich die Hoffnung nicht aufgegeben habe, dass ich vielleicht mal irgendwann wieder reinpasse, weil ich sie vom Schnitt und Stoff her sehr schön finde. Und ein paar Kleider, bei denen ich erschrecke, wenn mir einfällt, wie lange ich die schon habe. Ich besitze ein weißes Leinenkleid und das echt schon seit Ewigkeiten, also bestimmt seit zehn Jahren. Dabei war es damals nur so ein Spontankauf.



6) Wonach duftest du gerne?
„Molecules 01” von Geza Schön. Unschlagbar. Eigentlich kein Parfüm, sondern wohl nur eine Duftnote. Ich war in Berlin in einem kleinen Laden und der Verkäufer meinte, das wäre genau das Richtige für mich. Ich war skeptisch am Anfang, aber ich werde oft darauf angesprochen und ich mag ihn sehr. Holzig, warm, ganz eigen.



7) Ein Lippenstift?
Fast immer. Fast immer Rot. Egal in welchen Nuancen. Rote Lippen und rote Finger- und Fußnägel machen mir immer gute Laune.

8) Ein Ort, der zu Hause ist?

Mein Zuhause in München. Ich bin oft unterwegs und unsere Wohnung in München ist ein einziges großes Angekommensein. Ich hatte schon viele Wohnungen, die sich immer mehr nach Durchgangsstation angefühlt haben. Die waren zwar auch schön und nett, aber irgendwie haftete ihnen immer auch etwas von Übergang an. Gerade ist das nicht so. Ich mag das Viertel, den kleinen Blumenladen, den türkischen Gemüsehändler, den kleinen Balkon, die Holzdielen, einfach alles.



9) Und an welchen willst du unbedingt noch reisen?

Tokio und überhaupt Japan. Ich finde das Japanische sehr faszinierend. Das Zurückgenommene, das Design von dort, die Ästhetik. Und ich verspreche mir davon, dass es wieder diese Art von Reisen ist, die einen völlig überrascht und zurückwirft, weil alles anders ist: Sprache, Schrift, Essen, Aussehen. Im nächsten Jahr ist es so weit. So der Plan.



10) Was gehört zu einem guten Abend?

Die richtigen Menschen und leckeres Essen. Guter Wein hilft auch. Wenn ein paar Kerzen brennen und im Hintergrund die richtige Musik läuft, dann kann es passieren, dass eine ganz wunderbare Magie entsteht und ich mich sehr satt fühle. Wohlig, gut, satt. Nicht nur wegen des Essens, sondern weil dann manches Mal eine ganz wunderschöne Atmosphäre entsteht, voller Gespräche und irgendwas sehr Verbindendes. Es gibt ein Lied und ja, das ist von Reinhard Mey, aber die Zeile lautet: „Gute Nacht, Freunde, Es wird Zeit für mich zu geh'n. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh'n”. Wenn ich merke, dass ich das summen will, weil es gerade so passend wäre, dann weiß ich: Das ist gerade ein guter Abend. Ein sehr guter.



11) Und zu einem guten Morgen?

Dass er nicht abrupt startet, sondern mir Zeit lässt. Kein Weckerklingeln. Mich noch einmal umdrehen dürfen, weil das Bett schon ein sehr phänomenaler Ort ist und ich langsam vom Träumen ins Wache übergehen möchte. Zeit genug für ein Croissant und ein oder zwei Espressi haben. Gerne auf dem Balkon in der Sonne. Samstags schon gleich zum Frühstück ein Stück Käsekuchen. Überlegen und in aller Ruhe aufschreiben, was heute ansteht. Genug Zeit für mich zu haben, bevor andere etwas von mir wollen. Das ist ein guter Morgen. 



12) Ein Gefühl, das du magst?
Barfuss ohne Socken. Ich mag keine Winterschuhe und überhaupt zu geschlossenes Schuhwerk. Ich fühle mich da eingeengt. Aber sockenlos, leichtfüßig durch die Welt zu flanieren – das ist ein Gefühl, dass ich sehr mag.

13) Welcher Gegenstand war dir mit sechs wichtig? Mit 16? Und heute?
Mit sechs ein Stoffklumpen. Das war eine Art Kuscheltier, sah aber nicht so aus. Meine Mutter kann viele Sachen sehr gut, Nähen gehörte aber nicht dazu. Sie hatte mir da etwas genäht und das hatte ich für sehr lange Zeit immer bei mir, dem habe ich alles erzählt, was in meinem Kinderkopf so vor sich ging und mit dem fühlte ich mich stärker.


Mit 16 hatte ich einen Freundschaftsring. Das waren drei Ringe ineinander und den hatte ich mir mit zwei Schulfreundinnen in Paris gekauft. Ich habe in der Schule gefühlt ständig an diesem Ring gespielt, konnte mich dabei besser konzentrieren. Ich mochte ihn sehr als Symbol nicht alleine zu sein, auch wenn ich mich trotzdem manchmal so gefühlt habe.

Heute ist es ein kleines Buch, in das ich mir Sätze aufschreibe und Gedanken und manchmal zeichne oder Bilder sammle. Es beruhigt mich, weil ich darin abtauchen kann, wenn ich die Welt um mich herum mal kurz vergessen möchte, weil mich die Zitate beruhigen, irgendeinen neuen Gedanken entstehen lassen, mich an etwas erinnern.


14) Welchen Wunsch wirst du dir nie abgewöhnen?
An das Gute zu glauben. Freundlich zu sein zu sich und zu anderen. Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin, Idealistin, Utopistin. Der Wunsch, dass es gut wird, gut gehen kann mit uns allen, egal was kommt, der ist, glaube ich, unerschütterlich.


15) Worauf fühlt sich deine Haut am wohlsten?
Wenn sie auf Sonne trifft. Wenn Sonne auf die Haut trifft, hat das einen ganz eigenen Geruch. Nach Meer, auch wenn das weit weg ist. Frisch bezogene weiche Bettdecken haben aber eine ähnliche Wirkung. Ein ganz wunderbares Gefühl. Eine heiße Badewanne nach einem langen Tag. Kaschmirpulloverweichheit.

16) Schönste Sünde?
Sünde als etwas Verbotenes? Da würde der Freigeist in mir gleich rebellieren, der wenn er hört, dass etwas verboten ist oder nicht geht, gleich in ein jetzt-aber-erst-recht verfällt. Sünden als Dinge, die ich mir gönne, obwohl sie nicht sein müssten und die schnell vergänglich sind: Schöne Blumen, Vanille-Eclaires, faule Herumhäng-Tage.


17) Eine gute Entdeckung der letzten Zeit?

Wenn ich etwas Neues entdecke, entwickle ich eine gewisse Obsessivität, die dann irgendwann schlagartig nachlässt. Gerade fasziniert mich sehr:

Eine Sendungsreihe, die ich im Schweizer Fernsehen entdeckt habe. „Sternstunde Philosophie” heißt sie. Gefunden habe ich sie, weil ich so traurig über den Tod von Roger Willemsen war und das Internet abgesucht habe nach Interviews mit ihm, die ich noch nicht kannte. Ich mag das Format, weil es sehr ruhig ist, vollkommen unaufgeregt. Es scheint mir so aus der Zeit gefallen, weil es überhaupt nicht spektakulär im Gespräch nach der ersten Schlagzeile, sondern nach einer wirklichen Begegnung sucht. Die Sendung mit Siri Hustvedt aus dieser Reihe ist auch eine tolle.


Bei Büchern habe ich Tomas Espedal gerade für mich entdeckt. Ich hatte: „Gehen: oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen” vor längerem gelesen. Alleine schon wegen des Titels. „Wider die Natur“ habe ich vor ein paar Wochen beeendet und mocht es sehr, weil es so intensiv und eindringlich war.

Matthew E. White habe ich entdeckt. „Will You Love Me” höre ich gerade gerne. Das ist so sanfte Begleitmusik, die swingt einen so schön durch den Tag.

Außerdem den „Radiance Glow Booster” von Clarins, weil ich damit so aussehe, als hätte ich gerade Urlaub gemacht. Und grüner Tee mit Mango. Sehr süchtig machend.

18) Beste Lehre, die dir zuteil wurde?
„Ich habe weniger Ängste, je mehr ich mich meinen Ängsten stelle“, hat Anaïs Nin in einem ihrer Tagebücher geschrieben. Früher bin ich oft davon gelaufen, das mache ich heute auch noch oft genug, aber nachdem ich ein paar Mal gemerkt habe, wie wahr dieser Satz ist, bin ich draufgängerischer geworden und wähle heute öfter den unbequemen Weg statt des schnellen Abgangs. 



19) Ein schöner Mensch, den du nicht persönlich kennst?
Angelika Taschen würde ich gerne treffen. Sie hat in einem Interview mal zwei Sätze gesagt, die ich mir in mein Notizbuch geschrieben habe: „Ich musste erst lernen, dass man nur so viel machen kann, wie man aushält. Anfangs wollte ich alles erleben.“ Wer solche Sätze sagt, ist ein schöner Mensch in meinen Augen und ich finde auf Bildern hat sie auch eine wahnsinnige Ausstrahlung. Auf jeden Fall bin ich neugierig und würde sie gerne kennenlernen.

Eva Illouz bitte gleich dazu. Die finde ich auch sehr schön. Ich mag ihre Bücher und habe sie mal live bei einem Vortrag gesehen. Sie saß da so ruhig und überlegt und hat ganz klar geantwortet auf verschachtelteste Fragen und sich nie aus der Ruhe bringen lassen, was mich schwer beeindruckt hat. Ein Abendessen mit ihr wäre toll.


20) Große Liebe? Klitzekleine, aber unverzichtbare Liebe?

Die große Liebe: Mann und Familie. 

Die klitzekleine, aber unverzichtbare Liebe ist eine für all die Kleinigkeiten. Vogelgezwitscher am Morgen, Pistazieneis, in Flip Flops durch die Straßen laufen, schlendern, schöne Papiersachen entdecken, neue Orte entdecken, durch den Park spazieren, in Bücher eintauchen, Klavier spielen und sich dabei selbst vergessen und die Zeit gleich obendrauf, Neues lernen, neue Rezepte probieren, andere bekochen, andere beschenken, den Geruch französischer Handcreme, fotografieren und zweihundertausend kleine Dinge mehr. Unverzichtbar.

Vielen herzlichen Dank, liebe Stephanie!

Die anderen Liebeslisten sind hier nachzulesen.
Kommt gut in diese Woche!

Alle Bilder: Von Stephanie

DER APRIL 2016 (UND WAS IHN GUT GEMACHT HAT)


Nach all dem Uff nun endlich wieder ein bisschen Rückenwind. Wirklich verändert hat sich eigentlich nichts, ich habe immer noch zu viel auf dem Zettel und zu viel im Kopf, aber nach dieser einen Woche in Paris ist neben vielen Gedanken nun auch ein „Das wird schon alles” gewachsen und ich freue mich über die Gelassenheit und hoffe, dass sie es sich ein bisschen bequem bei mir macht. In Paris gab es einen schönen Moment, an den ich seither oft denken musste: An unserem letzten Tag war es kalt und stürmisch und verregnet, Fanny wollte trotzdem unbedingt noch einmal in den Jardin du Luxembourg, auf diesen wundervollen Spielplatz (der zwar geöffnet hatte, aber leider sehr nass war), zum Teich mit den Booten (die an diesem Tag leider nicht zu mieten waren) und zu diesem Karussell, bei dem die Kinder kleine Holzstangen bekommen, mit denen sie im Vorbeifahren Ringe fangen können. Als wir kamen, hatte auch das Karussell noch geschlossen. Aber dann kam der Mann, der es an diesem Tag betreute, öffnete das Zelt, fegte einmal gründlich durch und empfing seine kleinen Gäste. In der ersten Runde waren es nur drei, in der zweiten fuhr Fanny ganz alleine. Trotzdem stand der Mann mit den Fang-Ringen mit einem glückssatten Blick am Rand seiner Pferdeherde, feuerte Fanny jede einzelne Runde an und ging ihr auf den allerletzten Zentimetern, als ihr Holzpferd schon fast wieder zum Stehen gekommen war, noch ein paar Schritte entgegen, damit sie noch einen allerletzten Ring fangen konnte. Am Ende zählte er alle zusammen: 14. Und wiederholte es noch einmal: VIERZEHN! Fanny verstand die Zahl auf Französisch natürlich nicht, aber die war sowieso vollkommen egal. Sie lachte. Er lachte zurück. Dann gingen wir nach Hause und fanden den Regen unter unserem kleinen Schirm plötzlich sehr gemütlich.

Auch gut:

* „Vom Ende der Einsamkeit”. Ich schreibe die nächsten Tage noch einen eigenen Eintrag über dieses wundervolle Buch. Vielleicht lese ich es vorher auch noch ein zweites Mal, beim ersten Mal habe ich mich so in ihm verloren, dass ich mir all die guten Sätze gar nicht merken konnte.
* Und dann vielleicht: „Becks letzter Sommer”.
* Mein neues Tuch und meine neue Bluse.
* Und dieses Lippenöl in „Cherry Symphony”.
* Die zweite Staffel von „Broadchurch”, die ich mir in Frankreich angesehen habe.
* Diese Türen! (via)
* Der erste Rhabarber-Kuchen des Jahres.
* Thai-Reispudding mit Mango-Püree (und für mich auch noch mit frischer Passionsfrucht): gerade mein Lieblingsfrühstück.
* Außer natürlich: den Pariser Pains au chocolat, die schmecken, als wäre in jedem einzelnen ein Pfund Butter verarbeitet.
* „The Garden of Earthly Delights by Jheronimus Bosch”. Wow.
* D´Angelo ft. Princess: Sometimes It Snows in April.
* „How to get over common creative fears (maybe)”.
* Adele-Hits als Einschlaflieder.
* Was Cyndi Lauper tut, wenn es am Flughafen eine Verspätung gibt.
* Dieses Buch mit Gedanken, Erinnerungen und Einfällen von Astrid Lindgren, ich habe es vor einer Weile mal von einer tollen Frau geschenkt bekommen, und seither steht es auf meinem Schreibtisch und manchmal, so wie vor ein paar Tagen, nehme ich es mal wieder raus und blättere und staune über diese Frau und ihre Sätze wie diesen aus „Mio, mein Mio”: „Alles war so schön, dass man einfach nicht ertragen konnte, es allein anzuschauen.”

Wie war der April denn für euch?
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